Martin Declève
EIN
IMAGINÄRES ATRIUM
Was sind also Ihre Bilder und woher kommen sie?
Cicero, Vom Wesen der Götter I, 107
Der Anblick der Gipsabdrücke der unter der Asche des Vesuvs begrabenen Körper, der Anblick der Gesichter der Fresken von Pompeji, mehr noch das Empfinden, von ihnen angeblickt zu werden, wie in Federico Fellinis Roma.
Die hier gezeigten Fotografien sind großformatige Abzüge analoger Schwarzweiß-Aufnahmen von Gipsformen - nicht von Skulpturen oder Abgüssen -, sondern von den für den Abguss angefertigten Abformungen. Sie entstammen entweder dem Atelier de moulages des Musées royaux d'Art et d'Histoire in Brüssel (Inventarnummer B.INV_) oder der Gipsformerei in Berlin (G.INV_).
Bei diesen sogenannten Gipsstückformen handelt es sich um die Negativformen, in die der Gips gegossen wird, um eine positive Kopie - einen Abguss - zu erhalten. Sie sind selbst aus Gips hergestellt, und zwar in zweifacher Schichtung: Auf der Innenseite befinden sich die eigentlichen Druckstücke, die, um das Herauslösen aus der Gipsstückform zu erleichtern, sehr zahlreich sein können und die seitlich ineinandergefügt werden. Diese Druckstücke sind von außen eingefasst durch die sogenannte Kappe, die aus größeren und weniger zahlreichen Gipsstücken besteht und das Ganze zusammenhält. Die meisten dieser Gipsstückformen stammen aus dem 19. Jahrhundert und jedes große Museum hatte damals seine Gipsabgußsammlung. In der Folge wurden diese Abgüsse oftmals vernachlässigt und haben dabei auch Schaden genommen. Sie finden aber in den verbliebenen Gipsformereien auch heute noch Verwendung und sind aufgrund der beachtlichen Handwerkskunst, von der sie zeugen, zu einem eigenständigen Kulturgut geworden. Zudem sind sie mitunter einzig verbliebenes materielles Zeugnis verlorener, beschädigter oder zerstörter Originale. Von außen betrachtet wirken die Gussformen geheimnisvoll: Ihre matte, raue Oberfläche ist von den beim Abguss ausgelaufenen Gips überdeckt und weist an den Fugen Risse mit überraschendem Verlauf auf, die manchmal das Profil des Gesichts, das sie umschließen, erahnen lassen. Wer durch die Lagerhallen einer Gipsformerei wandelt, dem präsentieren sie sich verschnürt, gefesselt, auf übermannshohen Regalen aneinandergereiht in einem dieser letzten, von vergessenen Götzenbildern überquellenden Heiligtümern.
Fotografie
und Abguss
Da diese Gussformen zugleich mit der Erfindung und den ersten Schritten der Fotografie entstanden, wollte ich, dass beide Techniken - Fotografie und Gipsformerei – sich noch einmal begegnen, um so der Analogie nachzugehen, die oftmals Anlass gegeben hat, von der Fotografie metaphorisch als "Lichtabdruck" zu sprechen. Ich wollte diese Metapher beim Wort nehmen und schauen, was dabei herauskäme, wenn man diese Negativformen nicht mit Gips, sondern nur mit Licht ausgießen würde. Das Resultat kann man als zweidimensionalen "Spektralabdruck" beschreiben, der sich mal als Hohlraum, mal als Relief lesen lässt und in dem sich das Spiel von Licht und Schatten mit den Zuschnitten und Unfällen des Materials vermischt, um die Züge eines Gesichts zum Vorschein kommen zu lassen, das einem zwar oft bekannt ist, von dem ich aber hoffe, dass man den Eindruck hat, es hier zum ersten Mal zu sehen, oder zumindest so, wie man es zuvor noch nie gesehen hat.
Atrium
und antike
Porträts
Wenn schließlich dieses Werk ausschließlich Büsten antiker Persönlichkeiten berücksichtigt, dann deshalb, weil mir schien, dass die ganze Frage der Verbindung zwischen Porträt und Abwesenheit, Ähnlichkeit und Verschwinden, Trauer und Erinnerung, kurzum alles, was in unserer Tradition das Porträt zur "Schwelle der bildlichen Erfahrung" zur - wie Jean-Christophe Bailly so treffend formuliert - "Absolutheit des Bildes" macht, dass diese Problematik, die die Quelle so vieler Debatten in der Fotografie sein sollte, schon vor mehr als zweitausend Jahren die Entstehung des antiken Porträts beherrschte. Für einen Römer, der Lascaux und Chauvet nicht kannte, war das erste Bild das eines Gesichts, und für die Alten, insbesondere für die Römer, bestand eine Verbindung zwischen den ersten figurativen Darstellungen und dem Tod – das Porträt als magisches Substitut für das Verschwinden eines geliebten Menschen. All ihre Legenden rund um den Ursprung der figurativen Darstellung – Malerei und Skulptur – zeugen davon, ganz so wie ihre alltägliche Umgebung, von den Gräbern, die die Straßen säumten, bis hin zu den Porträts der Ahnen, den famosae imagines, die den ersten Raum des Wohnhauses schmückten, das Atrium.
Remerciements
Je remercie Valérie, uxorem sine qua non.
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Je remercie Michel Draguet, qui m'a autorisé à travailler à l'Atelier de moulage des Musées royaux d'Art et d'Histoire de Bruxelles, ainsi que Nele Strobbe, conservatrice, et le personnel de l'atelier.
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Vielen Dank an Miguel Helfrich, Leiter der Gipsformerei in Berlin, Thomas Schelper, Projektkoordinator, und an alle Werkstattmitarbeiter.
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Je remercie vivement Claudia Moatti pour ses suggestions éclairées lors de la traduction des citations latines.
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Merci à Régis, pour son aide précieuse dans la réalisation de ce site.
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Vielen Dank an Helmut für die deutsche Übersetzung.
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CALL
FOR TRANSLATIONS
If you'd like to translate some of the Latin quotes associated with the images, please do and send them to me. I'll put them on line.
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CHIAMA
PER TRADUZIONI
Se desideri tradurre alcune delle citazioni latine che accompagnano le immagini, fallo e inviamele. Le posterò.
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ÜBERSETZUNGEN ANFORDERN
Wenn Sie einige der lateinischen Zitate, die die Bilder begleiten, übersetzen möchten, tun Sie dies bitte und senden Sie sie mir. Ich werde sie posten.